Deceptive Design – Tricksereien im Web und die Folgen

Das Thema "Deceptive Design" habe ich als einer der neuen Knowledge-Camps ausgearbeitet und im Detail in Verbindung mit einer Studie vorgestellt. Im Folgenden möchte ich euch in einem zusammenfassenden Artikel davon berichten.

Die Digitalisierung greift weltweit in allen Formen immer weiter um sich. Auch die Repräsentanten kleiner und mittlerer Unternehmen sehen eine digitale Präsenzinzwischen als wichtig bis sehr wichtig an. Durch den immer größeren Anteil an Online-Auftritten im Business-Bereich entstehtdabei ein neuer Wettbewerb um die profitabelste Online-Präsenz.

Dieses Wettrennen hat teils revolutionäre Ausmaße. Ralf T. Kreutzer und Karl-Heinz Land bezeichnen dieses Phänomen im gleichnamigen Buch als „Digitalen Darwinismus“, der nur von denjenigen Unternehmen überlebt wird, die sich am besten anpassen werden.

„Mit Darwinismus wird der Auswahlprozess bezeichnet, der sich ganz automatisch einstellt, wenn – in diesem Falle – Unternehmen, aber auch ganze Industriezweige und ganze Nationen, sich den veränderten Rahmenbedingungen nicht schnell genug anpassen und deshalb vom Markt ‚aussortiert‘ werden.“

Das Unternehmen im digitalen Raum ihre Ziele erreichen, dafür sind viele Faktoren notwendig. Sobald der User über eine konkrete Weboberfläche auf eine Kundenreise geschickt wird, auch die Usability und UX. Während diese Oberflächen über die Zeit immer performanter und leichter zu bedienen wurden, gibt es aber auch kontroverse Auswüchse von Design-Mustern, die Nutzer wissentlich täuschen, um ein für das Business erstrebenswertes Ziel zu erreichen.

Dark Patterns – die Dunkle Seite des UX-Designs

Diese „täuschende Design-Muster“ (deceptive design) werden auch als Dark Patterns bezeichnet. Harry Brignull, ein UX-Experte, hat auf seiner Website https://deceptive.design zur Aufklärung eine Klassifizierung dieser Patterns vorgenommen.

Im Folgenden wird vorrangig den Powerusern im Netz auffallen, dass die Häufigkeit der Konfrontation mit solchen Patterns tendenziell steigt. Letztlich ist das aber auch davon abhängig, welche Gewohnheiten der User jeweils hat. Aber zur konkreten Veranschaulichung – hier ein paar Beispiele:

(Diese Bilder wurden hins. der Marke unkenntlich gemacht, es handelt sich aber um Beispiele aus echten Internetpräsenzen.)

Disguised ads

Heutzutage vor allem auf Nachrichtenportalen zu sichten sind die sog. „disguised ads“. Also eine absichtliche Vermengung von Inhaltlichem Content und Werbematerialien.

In diesem Beispiel sind die Hälfte aller empfohlenen Artikel Werbeartikel. Die Angabe „Anzeige“ ist übrigens rechtlich verpflichtend, und vermutlich absichtlich als Kategorie-Pille dargestellt, um es nicht so sehr hervorzuheben.

Disguised ads

Confirmshaming

Interessant ist auch das Spiel mit den Unsicherheiten und Emotionen der Kunden. Das sogenannte „Confirmshaming“ belegt Interaktionselemente mit emotionalen Wertungen, um das Unterbewusstsein in eine aktive Richtung zu lenken. In der Recherche zu Dark Patterns war hier dieses Beispiel am plakativsten:

"Wollen Sie Push-Notifications, oder wollen Sie lieber zu Tode bluten?" Anscheinend scheint diese Wertungsmechanik für diese Seite für Survival- und Medizingüter zufunktionieren.

Confirmshaming

Aber es ist nicht notwendig zu bluten, um im E-Commerce emotionaler Manipulation zu begegnen. Auch bei so freudigen Sachen wie einer Hotelbuchung vor dem Urlaub wird die Emotionswelt des Kunden hart in die Mangel genommen. Es ist folgender Standard bei Hotel-Vergleichsportalen schon felsenfest implementiert:

FOMO – Fear of missing out

Fomo

Nicht nur einmal sagt uns diese Empfehlung, dass dieses Zimmer gleich weg ist, es ist ja sehr gefragt und heute ein tolles Schnäppchen, und nur noch EINES verfügbar. Wer jetzt nicht bucht ist selbst schuld. Diese Praktik nennt man spielen mit FOMO – Fear of missing out.

Es gibt noch viele weitere Kategorien und Beispiele für solche UX-Muster, bspw.unter https://hallofshame.design/. Inzwischen gibt es auch Regulatorien, welche solche Muster teilweise verbieten. Das deceptive Pattern sneak into basket ist beispielsweise verboten. Auch Consent-Banner müssen heutzutage auf Patterns wie Misdirection verzichten, um nach DSGVO alle Anforderungen zu erfüllen.

Conversion erzielt – Alles andere ist egal?

Ohne Frage erhöhen solche Tricksereien mindestens kurzfristig die Conversion. Meine damalige Studiengruppe hat sich hier aber als zentrale Frage gestellt, was der Kunde davon hält, wenn dieser mit solchen Praktiken und deren dahinterstehenden Unternehmen konfrontiert wird. Im Knowledge Camp wurde diese Studie nochmal genauer beleuchtet, aber es lässtsich im Groben zusammenfassen:

  • Imageverlust ist die Konsequenz. Unternehmen verlieren ihre Seriösität und bekommen die dementsprechende Gegenreaktion der Kunden. Beim Einsatz von solchen Patterns sollte sich also jedes Business fragen, ob in dem entsprechenden Usecases diese Gradwanderung gemacht werden kann, oder ob das Geschäftsmodell mit dem Einsatz von Tricksereien an der Stelle seine Kunden verliert.
  • Besonders interessant unter Anderem in der Studie mit dem Titel: „Die dunkle Seite der Conversion-Optimierung: Auswirkungen des Einsatzes von Dark Patterns im Hinblick auf die User Experience und Imagewahrnehmung“ ist das sich Frauen von „FOMO“ und „Confirmshaming“ signifikant stärker verunsichern lassen als Männer.
  • Außerdem ist die emotionale Gegenreaktion bei Dark Patterns stärker und negativer, wenn direkt spürbarer finanzieller Schaden durch das Pattern entsteht.

Stimmungsbild einer Umfrage

In der Freitexteingabe am Ende der dazugehörigen Umfrage gab es aber auch viel Feedback. Während es einige wenige Nutzer gab, die behaupten, dass Ansätze solcher Praktiken ok seien, wenn die Services sonst umsonst zu benutzen sind, ist das überwiegende Feedback anders polarisiert. Aussagen wie:

  • „Einfach eine miese Abzocke. Unseriös und unsympathisch.“ Oder
  • „Wenn ich dafür bezahlt habe, dann will ich, dass das, was ich machen will, funktioniert. Und das möglichst schnell. Diese Funktion raubt mir Zeit und Nerven. Imageverlust ist die Folge...“

geben hier einen Einblick in Reaktionen, die man hiermit riskiert.

Erkenntnis

Daraus interpretiert: Ein modernes und seriöses Businessmodell in der digitalen Landschaft sollte im Vertrieb einen internen ethischen Kompass haben, an dem sich das Marketing und UX-Pattern orientieren können. So können die Aktionen auch gegen langfristig unseriös wirkende und imageschädliche Praktiken abgegrenzt werden.

Natürlich ist der erfolgreiche Vertrieb und auch das Überleben eines Unternehmens in so einer konkurrenzlastigen Umgebung wie dem Internet wichtig. In einem stark von Algorithmen geprägten Umfeld ist es jedoch schnell passiert, dass nur die Conversion beachtet wird, ohne das Zusammenspiel von Produkt und Kunde ganzheitlich zu betrachten.

Durch solch einen Kompass gerät ein Unternehmen auch nicht in die sog. „slippery slope“. Also in eine Rutsche, wo der Einsatz von immer mehr solcher Patterns dazu führt, dass am Ende das ganze Geschäftsmodell aus solchen hinterfragbaren Praktiken besteht.

Veröffentlicht am 03. Mai 2023 – Autor: Josef Slezak

Josef